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Was braucht jeder Protagonist?

  • von
Patricia Prezigalo Protagonist

Hallo wunderbares Lesewesen.

Du hast es dir gewünscht und dein Wunsch ist mir Befehl. (Zumindest wenn es ums Schreiben geht.)

Ich werde erklären, wie ich meine Romanfiguren entwickle. Ich mache sogar eine Serie daraus. Anscheinend gefallen meine Protagonisten, zumindest wenn ich den Feedbacks meiner Leserinnen und Leser Beachtung schenke und das tue ich.

Heute werde ich dir verraten, was jeder Protagonist braucht. Was noch wichtiger ist als sein Name. Zumindest meiner Meinung nach. Dieser Vorgang passt gut zu meiner Art, wie ich schreibe und Geschichten entwickle. Wenn ich vom Protagonisten rede, meine ich natürlich auch Protagonistinnen.

Wenn du nicht genau weisst, was ein Protagonist ist, dann findest du die Antwort hier. (wortwuchs.net/protagonist/)

Also was braucht der Protagonist, noch bevor er einen Namen hat?

Viele Schreibcoachs werden dir raten, gib deinem Protagonisten viele verschiedene Eigenschaften, überleg dir, wie er aussieht, wie er sich bei der Arbeit und in der Freizeit kleidet, welche Sprachen er spricht, wie ein gemütlicher Abend für ihn aussieht, Hobbies, etc. Aber ich bin kein Schreibcoach.

Wenn ich so vorginge, dann hätte ich nur die Dekoration des Protagonisten. Den Zuckerguss, wenn man so will.

Protagonisten und Kuchen haben eine grosse Gemeinsamkeit. Sie können nicht nur aus Zuckerguss bestehen, sonst ist es kein Kuchen, sondern eine zuckersüsse Sauerei.

Patricia Prezigalo

Erst muss die Substanz da sein, bevor man die dann dekoriert. Da darfst du mich gerne zitieren.

Und was meine ich mit Substanz?

1. Handlung

Logisch jede Geschichte sollte im Idealfall eine Handlung haben. Ihr müsst wissen, wie euer Protagonist die Geschichte auf seinen Schultern tragen und formen wird. Das ist seine Aufgabe.

Die Frage ist:

Was ist Rolle des Protagonisten in der Handlung? Wie beeinflusst der Protagonist sie mit seinem Handeln? Was tut er, was löst er damit aus und wie reagiert er darauf? Das ist sein Handeln. Je proaktiver er handelt, umso mehr wird er von den Lesewesen geliebt.

Aber das gilt nicht nur für die Protagonisten. Jede einzelne Romanfigur, ja auch der Antagonist formt die Geschichte mit seinen Handlungen. Das Handeln aller Figuren ist die Handlung des Buches. Wer nicht handelt, ist er ein Stück Treibholz, das von der Geschichte mitgerissen wird und damit langweilig. Ein Protagonist sollte idealerweise nicht langweilen.

Wie der Protagonist handeln wird, das weiss ich natürlich nicht, bevor ich das Buch anfange zu schreiben. Es ist etwas, was ich in der Überarbeitung überprüfe. Das im Vorfeld zu berücksichtigen ist mehr etwas für euch Planer da draussen in der freien Wildbahn. Es ist auch der Teil, der mir am meisten Mühe bereitet.

Berühmtes Beispiel, handelnder Protagonist:

Harry Potter findet heraus, dass er ein Zauberer ist und auf eine Magieschule namens Hogwarts gehen kann. Dort angekommen, erwarten ihn neue, unheilvolle Geheimnisse. Er und seine Freunde müssen aktiv werden und nachforschen, um die Geheimnisse zu enträtseln. Harry reagiert nicht nur, sondern übernimmt die Initiative. Er handelt. Nicht immer klug, nicht immer richtig, aber er treibt die Geschichte voran.

2. Ein Ziel (oder mehrere)

Ohne Ziel bricht die ganze Geschichte auseinander. Dann passiert etwas, nur damit etwas passiert, d.h. ich könnnte es an fast jeden Platz in der Handlung schieben und es würde sich nichts verändern. Deswegen sind Ziele so wichtig, sie bilden die Grundlage für die Konflikte und den Leim, der die Geschichte zusammenhält. Sie sind der rote Faden an dem sich alle Figuren entlanghangeln.

Jede Romanfigur, auch wenn sie nur einmal vorkommt, braucht ein Ziel. Sie muss etwas wollen und wenn es nur ein sauberer Kissenbezug ist. Ihr ganzes Handeln (siehe Punkt 1) muss darauf abzielen zu erreichen, was sie will. Sie muss das Ziel nicht sofort erreichen, aber sie muss es versuchen.

Der Protagonist, also die Hauptfigur, braucht natürlich ein mitreissenderes Ziel, als einen Kissenbezug. Im Idealfall mehrere Ziele, die sich zuwiderlaufen oder verändern. Nur so werden Lesewesen mit ihm fühlen und sich von ihm durch die Geschichte mitschleifen lassen.

Wer will schon ein Buch über Leute lesen, die zufrieden sind und nichts verändern wollen? Das ist unnatürlich. Wir Menschen sind immer unzufrieden, verunsichert und das treibt uns vorwärts zu einem neuen Ziel, auch wenn wir selbst das Gefühl haben ziellos zu sein.

Die Faustregel in allen meinen Büchern ist: Wer keine Ziele hat, den braucht es nicht in der Geschichte.

Berühmtes Beispiel, für ein gut umgesetztes Ziel:

Katniss meldet sich freiwillig für die Hunger Spiele. Ihr Ziel ist es sich selbst treu zu bleiben und zu überleben wenn möglich. Das Motiv für ihr Handeln ist ihre Famile zu schützen. Ihr Ziel erkennt man gut in ihrem Handeln, da sie eben nicht alles opfert, um zu gewinnen. Sie kümmert sich z.B. um ihre Mitstreiterin Rue. Und das ist es, was sie zum Symbol für den Widerstand macht. Ihr Mitgefühl, ihre innere Kraft. Sie ist deswegen eher bereit ihr Leben zu opfern, als ihre Überzeugungen. (Das Ende des ersten Hungerspiels) Katniss spielt das Spiel nach ihren Regeln und nicht nach den Regeln der Unterdrücker. Sie bleibt sich treu bis zum bitteren Ende.

3. Motivation

Wenn wir nicht verstehen, wieso der Protagonist das Ziel erreichen will, dann braucht er auch keines. Der Protagonist bleibt leblos. Die Motivation zeigt, was ihn antreibt, wovon er träumt und was er sich wünscht.

Es ist der innerste Kern. Das ist die erste Sache, die ich für jede Figur entwickle. Daraus ergibt sich alles andere für mich. Warum sie hier erst an der dritten Stelle kommt? Weil es sich für mich so logisch ergibt und damit einfacher zu erklären ist. Der Protagonist muss (1.) handeln im Einklang mit seinen (2.) Zielen, wegen seiner (3.) Motivation.

Das Ziel und die Motivation sind eng miteinander verbunden. Was ich will, ist direkt abhängig, von dem, warum ich es will. Aber nicht alle Ziele sind von Anfang an klar oder offensichtlich. Sie sind auch nicht immer das, was der Protagonist ursprünglich geplant hat. Deswegen ist die Motivation wichtig. Sie zeigt uns die Persönlichkeit, die Träume und Wünsche.

Es ist nicht immer einfach das Ziel und die Motivation auseinanderzuhalten, da sie so eng miteinander verschlungen sind. Hier schwächeln viele Geschichten, da sie dem Protagonisten zwar ein klares Ziel geben, aber keinen Grund um sich dafür einzusetzen. Oder einen sehr fadenscheinigen Grund.

Wenn der Protagonist eine vage Prophezeiung hört und dann sofort sein Leben riskiert, macht ihn das zum Idioten und nicht zum Helden. Warum?
Nur weil dir ein völlig Fremder sagt, du seist der/die Auserwählte und dich auf eine Selbstmormission schicken will, rennst du deswegen nicht gleich los. Es muss schon ein besserer Grund her, als das Schicksal will es so.

Berühmtes Beispiel für eine gelungene Motivation:

Vaiana wurde vom Meer ausgesucht den Halbgott Maui zu finden und mit ihm das Herz von Te Fiti zurückzubringen, das er gestohlen hatte. Es ist ihr Schicksal. Aufs Meer hinauszugehen ist auch ihr grösster Traum. Trotzdem folgt sie ihren Zielen nicht, denn die Verantwortung um ihre Familie und ihr Dorf halten sie zurück. Sie hat ein Ziel, aber sie verfolgt es erst, als ihr eigenes Dorf in Gefahr war. Erst, als ihre Motivation stark genug war, wurde ihr Ziel wichtig genug, um ihm zu folgen. Diese Geschichte zeigt die Wirksamkeit der Motivation.

4. Konflikt / Fehler

Der Protagonist braucht immer einen Charakterfehler und/oder einen Konflikt. (Idealerweise auch der Antagonist und alle anderen wichtigen Figuren.)

Der Konflikt und der Fehler werden leider oft verwechselt mit Dramatik und Action. Es ist aber nicht das Gleiche in diesem Kontext.

Beispiel für einen Konflikt: Der Protagonist will das magische Schwert von Gidiona und der Antagonist will es behalten. Er wird also alles tun, um zu verhindern, dass der Protagonist es in die Finger bekommt. Während der Protagonist nicht aufhören wird, nach dem Schwert zu trachten.

Beispiel für Dramatik / Action: Er muss um 12 Uhr am Treffpunkt für die Lösegeldübergabe sein und hat vorher einen heftigen Streit mit seinem Arbeitskollegen. Der Protagonist schafft es trotzdem pünktlich am Treffpunkt zu sein und die Übergabe läuft wie geschmiert.

Wie in den Beispielen herauskommt, kann die Action / Dramatik zwar eine Sezen würzen, aber am Ende hat es keinen Einfluss auf die Handlung. Während man den Konflikt nicht entfernen kann, ohne die Handlung wegzunehmen. Der Streit mit dem Arbeitskollegen verändert den Ausgang der Geschichte nicht, während ohne den Streit ums Schwert keine Geschichte stattfindet.

Konflikt

Ein Protagonist kann einen inneren oder äusseren Konflikt haben.

Der äussere Konflikt, das sind Sachen, Umstände oder Personen, die zwischen ihm und seinem Ziel stehen.

Ein innerer Konflikt ist ähnlich aufgebaut. Man nennt ihn auch gerne «will vs. muss» Konflikt, was allerdings meiner bescheidenen Meinung nach ungenau ist. Manchmal auch Dilemma genannt, was etwas passender ist. Im Einzelnen kann das beinhalten:

  • Was der Protagonist tun will, ist nicht das, was er tun muss. Bsp: Sie will ihren kleinen Bruder retten, aber die Entführer geben ihn erst zurück, wenn sie ihren Vater, den König, tötet.
  • Was er braucht, ist nicht, was er will. Bsp: Er braucht die Hilfe des Kinderfressers, um eine schlimme Tragödie abzuwenden, aber er will nichts mit dem Kinderfresser zu tun haben, der seinen Sohn auf dem Gewissen hat.

Fehler

Ein Fehler ist im Prinzip das Gleiche, entspringt aber dem Innenleben des Protagonisten. Also wenn er sich selbst im Weg steht.

  • Es ist also nicht das berühmte, viel zu gute Herz eines Assassinen, wenn er trotzdem der beste Mörder werden kann.
  • Nicht das wunderschöne Aussehen, wenn es ihm nur etwas Neid einbringt, aber ihn nicht daran hindert, den Mann seiner Träume zu bekommen.
  • Nicht die Tollpatschigkeit, wenn er trotzdem der beste Schwertkämpfer werden kann, weil er im Kampf nie über seine Füsse stolpert, nur vorher und nachher.
  • Auch nicht das Rauchen oder die Unhöflichkeit, wenn es seinen Zielen ein Sänger zu werden nicht im Weg steht.

Beispiel für einen Fehler: Der Protagonist will Schauspieler werden. Er feiert erste Erfolge und steht kurz vor dem Durchbruch. Doch unerwartet bekommt er Panikattacken, wenn er im Rampenlicht steht. In dem Fall will ich wissen, wie geht es weiter? Wird er Hilfe bekommen, sich selbst helfen oder versagen? Woher kommen die Panikattacken?

Ein Fehler oder ein Konflikt müssen nicht eine Tragödie sein, wie die Trauer, um den Tod der Eltern, Kindheitstrauma, etc. Es muss nicht das massivste Trauma aller Traumata sein. Im Gegenteil, das ist meistens Drama. Für einen Konflikt reicht oft viel weniger. Wichtig ist, dass es den Protagonisten auf eine Art behindert, die wir in der Geschichte zu spüren bekommen, weil es viele Fragen und Konsequenzen nach sich zieht.

 Berühmtes Beispiel, fehlerhafter Protagonist:

Hier könnt ihr irgendeine Romanfigur aus G.R.R. Martins Bücherreihe «A Song of Ice and Fire» nehmen. Er ist der absolute Meister darin jeden einzelnen Charakter so aufzubauen, dass er einen fatalen Fehler hat, den er nicht oder nicht einfach überwinden kann, um sein Ziel zu erreichen.

5. Entwicklung

In der Entwicklung kommen die Punkte 1-4 zusammen.

Was den Protagonisten antreibt, also sein Motiv, bestimmt sein Handeln. Das, was er will, bestimmt seine Konflikte. Wie muss er sich entwickeln, um seine Konflikte zu bewältigen? Lernt er mit seinen Fehlern umzugehen? Was muss der Protagonist lernen? Wie? Kann er sein Ziel erreichen oder muss er es für immer begraben?

Hier kommt alles zusammen und zeigt ob die Substanz stark genug ist die gesamte Geschichte und den Tortenguss zu tragen.

Figuren, die sich nicht entwickeln, die durch die Handlung der Geschichte nicht verändert werden, sind in der Regel blass und hinterlassen keinen Eindruck. Wie immer beim Schreiben ist Vieles sehr subjektiv. Es gibt Geschichten und Protagonisten, die gut ohne Entwicklung auskommen, sind aber eher selten.

Berühmtes Beispiel für die Entwicklung eines Protagonisten:

Thor ist zu Beginn im ersten Film ein arroganter Gott. Er glaubt, dass seine Macht und der Thron sein Geburtsrecht seien. Und selbst, nachdem er gefallen ist, verhält er sich sebstgefällg und rücksichtslos. Alles was für ihn zählt, sind er und seine Ziele. Aber er lernt im Verlauf des Films Empathie und andere vor sich selbst zu stellen. Damit verdient er sich im Endeffekt sein Recht und wird zum Helden. Seine Ziele und Motive ändern sich, wie die Handlung sich entfaltet. Und am Ende ist er nicht mehr der Gleiche, der er zu Beginn war.

Fertig gebackener Protagonist

Erst wenn ich meinen Figuren diese 5 Punkte hinzugefügt habe, haben sie Substanz. Und erst auf diese Substanz kommt die Tortenglasur und die Deko. Das sind nicht unbedingt banale Sachen oder reine Äusserlichkeiten, es sind bloss die Dinge, die nichts mit den zuvor genannten Punkten zu tun haben. Dinge die die Handlung nicht mehr massgeblich beeinflussen. Alles was keine Substanz ist, sind Eigenschften, die ich während des Schreibens mit meinen Protagonisten gemeinsam entdecke.

Für mich funktioniert diese Art die Protagonisten zu entwickeln, weil ich keine planende Schreiberin, sondern eine Entdeckerin bin. Ich brauche starke Figuren, denen ich hinterherrennen und ihre Geschichten aufschreiben kann. Das muss nicht für jeden die richtige Art sein und ist vermutlich für die Planer da draussen sehr frustrierend.

Wie seht ihr das? Wie schafft ihr eure Protagonisten?

Und damit wir uns richtig verstehen Protagonisten mit Substanz und Persönlichkeit zu schaffen ist schwierig. Es gibt viele Bücher, die sich gut verkauft haben und nicht jeden dieser Punkte erfüllt haben. Aber die bekanntesten und denkwürdigsten Figuren, die ich kenne, haben diese 5 Punkte, also die notwendige Substanz. Aber mehr dazu in einem anderen Beitrag, denn dieser ist jetzt zu Ende.

Vielen Dank dafür, dass du bis zum Schluss gelesen hast. Wenn dir mein Beitrag gefallen hat, dann schenk mir doch ein Like, ein paar Sterne oder teile ihn mit deinen Freunden.

Ich poste jede Woche einen neuen Beitrag rund ums Thema Schreiben, Geschichtenerzählen und alles drumherum. Sei dabei, oder auch nicht, ich bin nicht deine Chefin. Aber ich würde mich freuen dich wiederzusehen.

Bleibt so toll, ihr verleiht meinen Büchern Flügel.

Liebe Grüsse
Patricia

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