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Gewalt in Paarbeziehungen: Keine Verherrlichung in Büchern!

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Hallo wunderbares Lesewesen, wie schön bist du wieder dabei, wenn wir plaudern.

Es ist April. Und damit der Monat den ich hier einem unbequemen Thema widme. Also wenn du während des Lesens eine Pause brauchst, dann nimm sie jederzeit. Ich werde warten.

Gewalt in Paarbeziehungen

Wieso ausgerechnet dieses Thema? Weil es ein grosses, reales Problem ist in unserer Gesellschaft und es viel zu lange schon verherrlicht wird in Geschichten und Filmen. Das ist nicht akzeptabel. Die Medien, die wir konsumieren, prägen unser Weltbild. Wir werden dadurch nicht gewalttätiger oder so, aber es verändert, was wir als normal, erstrebenswert oder gut ansehen.

Wieso im April? Also… Red My Lips ist eine internationale gemeinnützige Organisation, die darauf abzielt, die Sichtbarkeit und das Bewusstsein für die Realitäten und die Verbreitung sexueller Gewalt zu schärfen und gleichzeitig Vergewaltigungsmythen und Opferbeschuldigungen zu bekämpfen. Jedes Jahr im April führen sie eine jährliche globale Sensibilisierungs- und Aktionskampagne durch, bei der ihre furchtlosen Unterstützer den ganzen Monat lang roten Lippenstift rocken. Für mehr Infos klicke auf https://www.redmylips.org/ (externer Link). Und diesen April bin ich mit dabei, indem ich den ganzen Monat dem Thema der Gewalt in Paarbeziehungen widme.

Patricia Prezigalo Sexuelle Gewalt red my lips

Gewalt in Paarbeziehungen als romantischer Idealfall?

Vielleicht ist es euch auch schon sauer aufgestossen oder aber ihr habt keine Ahnung, wovon ich spreche und fragt euch: «Was liest du denn für Bücher?»

Gute Bücher, schlechte Bücher und alles was dazwischenliegt.

 «Also in den Büchern, die ich lese werden die Frauen von ihren Freunden nicht geschlagen.»

Ja klar. Erstens können auch Frauen Täterinnen und Männer Opfer sein und zweitens ist Gewalt nicht unbeding physische Gewalt. Gewalt in Paarbeziehungen, eine Form der häuslichen Gewalt, zeigt sich nicht nur in körperlichen Übergriffen mit sichtbaren Verletzungen, sondern häufig (auch) in «unsichtbaren» Formen, wie gezieltem und anhaltendem Einschüchtern und Abwerten, Blosstellen, Stalken, Drohen oder dem Verbot Freunde oder Familien zu sehen, zu Hause einsperren, etc.

Die Gewalt in Paarbeziehungen ist ein massives Problem in unserer Gesellschaft, verletzt fundamentale Menschenrechte, verursacht grosses Leid, Todesfälle sowie Kosten. Sie ist weder lustig, noch romantisch und sollte in Büchern nicht idealisiert werden. Ich verstehe sehr wohl, dass damit auch gewisse Fantasien bedient werden und ich habe auch nichts dagegen, wenn man diese Fantasien in entsprechenden Genrenischen weiterhin bedient. Es geht hier nicht um Zensur.

Gewalt in Paarbeziehungen ist im Buch der romantische Idealfall geworden und nicht ein Grund, um die Polizei einzuschalten. Es wird uns als vermeintlich liebevolle und perfekte Partnerschaft gezeigt. Wer jetzt denkt, dass das hauptsächlich in Liebesromenen vorkommt, hat leider unrecht. Es ist in den allermeisten Genre vertreten und so verbreitet, dass es uns gar nicht mehr auffällt. Es ist unsichtbar geworden. Normal.

Es geht um einen verantwortungsbewussten Umgang mit einem heiklen Thema, über das mehr gesprochen werden muss. Ausserdem möchte ich mich nicht alleine darüber aufregen.

Was ist Gewalt in Paarbeziehungen?

Gemäss der Definition, auf die man sich an der Istanbul-Konvention geeinigt hat, beinhaltet der Begriff „häusliche Gewalt“ (dazu gehört auch die Gewalt in Paarbeziehungen) alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen / Partnern vorkommen, und zwar unabhängig davon, ob sie je zusammenwohnten oder nicht.

Vereinfacht gesagt, bezeichnet sie jede Form von Gewalt (auch Psychoterror), die von der Familie, Partnern oder Ex-Partnern ausgeht.

Natürlich ist nicht jeder Streit, der einmal ausser Kontrolle gerät sofort ein Fall von häuslicher Gewalt. (Kann trotzdem strafbar sein.)

Dafür muss schon ein Muster vorliegen.

  1. Es muss wiederholt körperliche, sexuelle, psychische und/oder wirtschaftliche Gewalt in einer Paarbeziehung gegen das Opfer ausgeübt werden.
  2. Und die Gewalt ausübende Person nutzt ein existierendes Machtgefälle zu seinem Opfer aus oder schafft eines, um es anschliessend auszunutzen.

Text der Konvention auf Deutsch (externer Link)

Patricia Prezigalo Gewalt in Paarbeziehungen

Wie sieht das in Büchern aus?

Es kommt viel zu oft vor.

Für sich alleine genommen, kann jede einzelne Handlung im Buch eher harmlos sein und im Ausnahmefall auch in gesunden Beziehungen vorkommen. Aber für die Gewalt in Paarbeziehungen ist ihre Summe und die Wiederholung kennzeichnend und nicht die Schwere jeder einzelnen Verletzung.

Im echten Leben hat diese fortgesetzte Gewalt- und Kontrollausübung Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und die Gesundheit der Betroffenen, die z.T. unter schweren Angstzuständen oder chronischem Stress, etc. leiden und sich schlimmstenfalls deswegen das Leben nehmen.

Ist nicht überraschend, schliesslich sollte der eigene Partner eine Person sein, bei der man sich sicher fühlt.

Ich habe in den nachfolgenden Beispielen bewusst die Titel der Bücher nicht eingeschlossen, da es mir um den Inhalt geht und nicht darum, über ein Buch oder andere Autoren herzuziehen.

Beispiel 1

Ein Milliardär, der eine naive Frau stalkt.

Er missachtet wiederholt ihr«Nein», will ihr ganz normale, alltägliche Dinge verbieten , verkauft ihre Sachen ohne Genehmigung. Oh, und ausserdem schränkt er ihre Bewegungsfreiheit ein, überwacht ihr Handy (illegal), kontrolliert den Kontakt zu ihren Freunden und Familie. Ausserdem droht er ihr Gewalt an, wenn sie ihm widerspricht.

Das ist so romantisch, das brauch gleich 2 Fortsetzungen. Nicht wahr?

In diesem Buch und den Fortsetzungen nutzt er das Machtgefälle zwischen ihnen, um systematisch Druck gegen sie auszuüben, damit er von ihr bekommt, was er will. Wenn sie nicht mitmacht, macht er ihr Schuldgefühle.

«Ich bin so ein Armer. Ich hatte eine schreckliche Kindheit, deswegen darf ich das an dir auslassen. Nur du verstehst mich. Ich liebe dich, deswegen darf ich dich wie mein Eigentum behandeln. Warum darf ich dich nicht schlagen? Liebst du mich nicht?»

Ja, das ist typisch für Gewalt in Paarbeziehungen und nein, geht gar nicht, denn diese Schuldgefühlmasche verwenden auch Sektenführer.

Beispiel 2

Fünf Brüder bekommen eine neue «Stiefschwester», die sie loswerden wollen.

Hier ist ein klares Machtgefälle vorhanden, da sie die leiblichen Söhne und reich sind, während sie nichts und niemanden hat.

Sie drohen ihr oder stellen sie sexistisch bloss, demütigen sie, oder rufen andere zum Mobbing gegen sie auf, finden es lustig ihr zu sagen, dass sie sie vergewaltigen werden, etc.

Die psychische Gewalt ist in dieser Geschichte offensichtlich und absolut perfide, aber keine Sorge, es  gibt einen Grund, die Person, die man liebt zu verletzen und erniedrigen. Echt jetzt? Ein Unrecht rechtfertigt also das andere? Wie krank ist das denn? Auch schwer traumatisierte Menschen können ihre Mitmenschen gut behandeln, was ist also die Ausrede der Brüder?

Wenn das Liebe ist, dann will ich bitte nie auf diese Art geliebt werden. Danke.

Warum mich das in Büchern stört?

Es stört mich keineswegs, dass es Bücher gibt, die häusliche Gewalt oder dysfunktionale Beziehungen thematisieren und zeigen, wie furchtbar die sind, welche Konsequenzen das für die Opfer hat und dass das auch anderen passiert. Literatur soll kontroverse Themen aufgreifen oder das heimliche Vergnügen von Lesewesen befriedigen.

Was mich stört, ist, wie sie in gewissen Büchern dargestellt wird.

Das systematische Gewaltverhalten und damit kontrollierende, entwürdigende und machtmissbrauchende Verhaltensweisen, die darauf abzielen, die Beziehung und das Gegenüber zu dominieren, werden in Büchern als romantisch, sexy oder erstrebenswert gezeigt. Geht gar nicht.

Und ich bin es leid, ständig zu hören, dass das Opfer im Buch ja verliebt oder damit einverstanden sei. Es kann keine Einwilligung geben, da das tatsächliche oder vom Opfer wahrgenommene Machtgefälle, das unmöglich macht. Genau das ist der springende Punkt, der Kern des Problems.

Echte Zuneigung ist nicht schmerzhaft, respektlos oder erniedrigend und wenn mir ein Buch das verkaufen will, ist es für mich gestorben.

Auch die Entschuldigung, dass die Protagonisten fiktiv seien, ärgert mich. Schliesslich sind die Leser nicht fiktiv. Wenn man eine Sache oft genug liest, sieht oder hört, normalisiert man sie und Gewalt in Paarbeziehungen darf nicht normal und schon gar nicht sexy sein. Jemanden wie Dreck behandeln, macht einen Protagonisten nicht liebenswert, cool oder tiefgründig. Es ist niemals in Ordnung und diese Verharmlosung oder Verherrlichung ist unverantwortlich.

Ich werde noch mehr dazu schreiben, aber nicht mehr hier, denn dieser Beitrag ist zu Ende. Vielen Dank dafür, dass du bis zum Schluss gelesen hast. Wenn dir mein Beitrag gefallen hat, dann schenk mir doch ein Like, ein paar Sterne oder teile ihn mit deinen Freunden.

Ich poste jede Woche einen neuen Beitrag rund ums Thema Schreiben, Geschichtenerzählen und alles drumherum. Sei dabei, oder auch nicht, ich bin nicht deine Chefin. Aber ich würde mich freuen dich wiederzusehen.

Wichtiger Hinweis

Für alle Lesewesen, die befürchten in einer problematischen Beziehung zu sein, lasst euch beraten oder holt euch Hilfe bei der Polizei, die haben Leute, die dafür ausgebildet wurden. Ihr werdet auch von anderen Menschen geliebt und ihr seid es wert geliebt zu werden, wie ihr seid. Zuneigung muss nicht weh tun. Man muss nicht der Liebe wegen leiden. Ihr seid nicht alleine, auch wenn ihr das Gefühl habt es zu sein. Es erfordert viel Mut, euer Schweigen zu brechen, tut es trotzdem. Nur so erhaltet ihr die Chance einen Ausweg zu finden.

Patricia Prezigalo Gewalt in Paarbeziehungen.

Bildquelle: IST – Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt
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